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Ghostwire Tokyo: Masken, Geister und allerlei Übernatürliches

Neben Marvels Spider-Man Remastered vielleicht mein Spiel des Jahres 2022, auch wenn ich eigentlich gar kein Fan von Horror- oder Mystery-Spielen bin...

Ghostwire Tokyo spielt wie der Titel schon verrät in einigen Bezirken Tokyos und ist eine Mischung aus Horror und Mystery, wobei sich das Spiel auch des einen oder anderen Jump Scares bedient. Es ist aber erstaunlich unblutig und auch sonst eher frei von Zombies oder grausam entstellten Gestalten. Mit klinischer Sauberkeit könnte das Spiel durchaus etwas am Hut haben, denn wie gleich zu Beginn der Story erleben muss, ist man plötzlich der einzige verbliebene Mensch innerhalb einer übernatürlichen Barriere, die vom Antagonisten über einen guten Teil Tokyos gestülpt wurde. All die anderen Menschen der Millionenmetropole sind nun spurlos verschwunden bzw. sie wurden in eine Art blauen Äther verwandelt, den man als Nebenmission einsammeln und über Telefonzellen an die Außenwelt schicken muss, wo sie sich scheinbar wieder materialisieren.

Wenn man glaubt nun ungestört durch Tokyo spazieren und Äther sammeln zu können wird man allerdings enttäuscht. Durch den Autounfall ganz zu Beginn des Spiels befand man sich zum Zeitpunkt der einleitenden Katastrophe in einem Zustand zwischen Tod und Leben, was dazu führte, dass man in den Kontakt mit dem Geist des paranormalen Ermittlers und ehemaligen Mediums KK kam. Durch diese Verbindung kehrt man nicht nur ins "Leben" innerhalb der Barriere zurück, sondern erhält auch eine Reihe von Fähigkeiten, die sich am ehesten mit Magie oder unterschiedlicher Munition in Shootern vergleichen lassen. Wind, Wasser, Feuer oder auch Pfeile oder shintoistische Talismane können eingesetzt werden, um die sehr japanischen Kreaturen innerhalb der Welt der Barriere zu bekämpfen. Einfach so aus der Fingerpistole auf Geister zu schießen hat schon etwas, leider fehlen mir aber die Screenshots um diese Begeisterung gebührend zum Ausdruck zu bringen.

Was man an Kreaturen so bekämpft sind Gestalten wie die kopflosen Schulmädchen, gesichtslose Anzugträger oder auch hin und wieder Kreaturen die einen an Sadako Yamamura aus den Ring-Filmen erinnern. So gesehen ist das Spiel ja sehr japanisch und das ganze fasziniert mich auch, da ich (auch wenn ich weit von einem Horror-Fan entfernt bin) die Ring-Trilogie von Koji Suzuki (auf welcher die japanischen Originalfilme aufbauen, während Hollywood nur eine Neuinterpretation der Filme gewagt hat) seinerzeit mit einer gewissen Faszination gelesen habe. In unseren vom Christentum geprägten Breiten überlagern dessen Klassifizierungen recht häufig, alles was man sich an Fantasy einfallen lassen kann. Im von christlichen Einflüssen eher freien Japan scheint man deutlich offener gegenüber Dingen zu sein, die bei uns als Aberglaube eingestuft würden. Nicht alle Geister sind böse und nicht jede "heidnische" Gestalt ist ein böswilliger Teufel oder Dämon - Yokai sind als eine Art Naturgeister ja auch so etwas, das vom christlichen Bannhammer zu irgendwelchen Dienern des Teufels deformiert worden wäre.

 

Der ganze Flair geht zwar vielleicht nicht ganz so tief, wie es einem wahren Kenner recht sein dürfte, für mich war es jedoch genug, um mich zu begeistern. Genauso wenig habe ich mich am Kampfsystem gestört, das vermutlich ebenso wenig innovativ oder tiefgründig wäre. Man hat seine Fähigkeiten, muss diese für Flächenschaden weiter entwickeln und in den Kämpfen für den optimalen Effekt auch erst einmal aufladen. Die Fingerpistole mit ihrer Windmagie macht mir zumindest allerdings irrsinnig Spaß, genauso wie der Effekt einem der "Anderen" im Nahkampf seinen Kern herauszubrechen oder als Finisher Dr. Strange-mäßig Fäden zu benutzen, mit denen man die Gestalten regelrecht zerreißt. Wenn sie zerbröseln, dann in eine Art bunte eckige Pixel, was dem Spiel wiederum einen klinischen Look gibt. Das ganze hat schon etwas von der Matrix.

 

In seinem Arsenal von übernatürlichen Fähigkeiten findet man schließlich auch eine die es einem erlaubt für kurze Zeit zu "fliegen" bzw. auf diese Art und Weise von Hausdach zu Hausdach zu gleiten. Dazu kommt noch, dass man sich an bestimmten Stellen und später via Upgrade sogar fast überall, an geflügelte Tengu hängen und so auf Dächer ziehen lassen kann. Wozu? Um in allen zugänglichen Bezirken 100% der als Äther herumschwebenden Seelen einzusammeln und die eine oder andere Sammel-Aufgabe abzuschließen. Diese Art des Reisens hat es mir halt auch angetan, wie in Spider-Man oder Monster Hunter Rise.

Ich würde mir ja eine Fortsetzung von Ghostwire wünschen oder auch nur einen DLC, wofür die Entwickler scheinbar auch zu gewinnen gewesen wären. Das Spiel hat jedoch 2022 scheinbar nicht den großen kommerziellen Erfolg gefeiert, sodass ein Sequel, Prequel oder auch nur extra DLC ziemlich unwahrscheinlich sind. Was mich angesichts des Erfolgs des Animes Mob Psycho 100 etwas überrascht. Japans reicher Schatz an übernatürlichen Phänomenen würde ja so einiges hergeben und vielleicht wäre da ein ganzes Franchise für paranormale Action Adventure wie Ghostwire realisierbar, wenn das Spiel nur besser ankommen oder zumindest mehr Leute erreichen würde.

Vom Plot her hat mich Ghostwire Tokyo auch etwas an Dragon Age Inquisition erinnert, weil man das oben zu sehende Mal an seiner Hand ja auch auf ganz ähnliche Weise bei einem vom Antagonisten verursachten Unfall erhalten hat. Die erhaltene Macht ist jedoch nur geliehen und zumindest vom Game Design her soll sie dem Ziel dienen den Schaden zu bereinigen, den der Bösewicht angerichtet hat.

 

Doch anders als in Dragon Age sammelt man keine Gefährten und wird kein wirklich strahlender Held, sondern folgt eigentlich seiner ganz persönlichen Mission. Denn kaum wieder unter den Lebenden wird zu Beginn des Spiels auch schon die im Koma liegende Schwester des Protagonisten entführt. Die Jagd nach dem großen Schurken ist also auch eine, die am Ende dazu führen soll, wieder mit der zwischen Leben und Tod gefangenen Schwester in Kontakt zu treten. Ich will ja nicht zuviel spoilern, aber das Spiel verzichtet auf ein offensichtliches Setup für ein Sequel oder ein märchenhaftes Happy End, denn immerhin hat man es mit Geistern zu tun.

 

Meiner Meinung nach bringen die zahlreichen Nebenmissionen für zwischen den Welten gefangenen Bewohner Tokyos oder das eine oder andere Yokai einen gewissen erzählerischen Mehrwert mit sich. So manche der dem Leben entrissenen (es ist imho nicht immer ganz klar, ob diese "Geister" wirklich Verstorbene sind oder nur durch die Katastrophe entrückt wurden) wurden durch ihre übermächtigen Begierden korrumpiert und müssen für die Wiederherstellung des natürlichen Gleichgewichts wie "böse Geister" eben ausgetrieben werden. Geistern zu helfen mit dem Leben abzuschließen ist ja durchaus etwas, das man aus so einigen Fantasy-Games kennt (wie auch The Witcher 3), aber in Ghostwire wurden dafür oft Szenarien aus unserer Gegenwart gewählt, wie das Haus eines absoluten Messies und dessen Wunsch danach zu besitzen und zu horten. Ghostbusters Tokyo hätte ja auch so seinen Charme.

 

Mit einem Metacritic Score von nur 77 (aktuell) sollte ich mir für die Zukunft von Ghostwire wohl keine Hoffnungen machen und vielleicht hakt das Spiel ja auch nur auf meiner Wunschliste so viele Punkte ab, weil ich kein echter Horror-Fan bin und mit dem vergleichsweise wohl eher simplen Game Design leben kann.