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Spider-Man: Miles Morales - Runde 2

Was man nicht alles für die 100% der Steam-Achievements tut...

Spider-Man: Miles Morales ist durchaus mehr als ein Epilog zum Vorgänger, da das Spiel nicht nur seine eigene Geschichte erzählt, sondern bis auf die post credits scene mit Norman Osborn, Dr. Curt Connors und einem ganz bestimmten Tank mit grüner Flüßigkeit auch kaum an der Geschichte des Vorgängers anknüpft. Das rechtfertigt auch den Standalone-Anspruch des Spiels, aber der Vorgänger überschattet meiner Meinung nach durchaus einiges womit sich Miles Morales herumschlagen muss, denn die Frage ist ja, welche Folgen werden diese Ereignisse auf Spider-Man 2 haben?

 

So ein New Game+ kann helfen, sich noch einmal ausgiebig mit der Story zu beschäftigen, wenn auch etwas unfreiwillig, denn man kann die Cutscenes ja nicht wie in einem BioWare-Spiel einfach durchskippen (oder mir ist diese Option auf einem Gamepad irgendwie entfallen).

 

Spider-Man: Miles Morales widmet sich zumindest in Harlem auch den Problemen, die Martin Li den F.E.A.S.T.-Zentren hinterlassen hat. Ohne Li oder May Parker fehlt der Organisation eine wehrhafte Führung, sodass es auch kein Wunder ist, dass ein finanziell und organisatorisch angeschlagenes F.E.A.S.T. ins Visier des Kingpin Wilson Fisk gerückt ist. Die F.E.A.S.T.-Zentren stehen auf wertvollem Land für Immobilienprojekte und Fisk ist ja nicht nur ein Verbrecherboss, sondern auch ein genauso skrupelloser Immobilienbaron. Dass "Willy" von seiner Gefängniszelle aus weiterhin Befehle ausgibt konnte man schon in Spider-Man 1 erwarten und auch wenn es Teil von Miles Kampagne ist, eines von Fisks "Kommunikationszentren" auszuschalten, New York wird wohl doch noch das eine oder andere Zentrum von Fisk-Untergebenen beherbergen. Fisk ist aber nicht der einzige, der an Immobilien in Harlem interessiert ist und sich diese auch auf kriminellem Wege beschaffen möchte. Auch Roxxon hat keine Probleme damit, wenn die Nachbarschaft niederbrennt und an einer Stelle des Spiels lässt Simon Krieger sogar die Idee eines Roxxon City aufkommen. Die Frage ist nur, wie diese Pläne in Spider-Man 2 integriert werden könnten, da sich Roxxon ja so auch mit Oscorp anlegen könnte. Von Oscorps Machenschaften erfährt man in Spider-Man: Miles Morales hingegen so gut wie gar nichts.

 

Roxxons Gegner in der Form des Untergrunds zielen jedenfalls darauf ab, Roxxon Plaza dem Erdboden gleich zu machen, was in ihren Augen wohl einer Vertreibung des Energiekonzerns aus Manhattan gleich kommt. Roxxon hat aber durchaus noch andere Immobilien in New York und vor allem scheint es so, als wäre die Energieinfrastruktur der Stadt durchaus stark von diesem Konzern abhängig. Die Zerstörung des Kraftwerks am Beginn des Spiels lässt jedenfalls gleich die Lichter in einigen Wolkenkratzern ausgehen.

 

Der Untergrund wird in Spider-Man: Miles Morales meiner Meinung nach durchaus geschickt als Gruppe aufgebaut, die das Machtvakuum nach Spider-Man 1 gefüllt hat. Mich erinnert diese Lage ja immer wieder an die Serie Gotham, wo traditionelle Mafia-Familien durch die Banden diverser Superschurken abgelöst wurden, etwas das meiner Meinung nach auch im jüngsten Film über Gotham, The Batman, der Fall zu sein scheint. Diese Idee wurde im Spider-Man 1 DLC ja noch beflügelt, als Hammerhead tatsächlich mit gestohlenen Hightechwaffen und seinem Cyborg-Körper begann das Grundgerüst der New Yorker Mafia zu zerstören, indem er vom einfachen Paten zum Superkriminellen aufstieg und dabei alles daran setzte die anderen Familien zu zerstören. Es scheint durchaus so, als ob der symbolträchtige Sturz von Kingpin Wilson Fisk dazu beigetragen hat die Unterwelt soweit zu destabilisieren, dass sich nun temporär auch Cyberpunks mit Hightech-Equipment des Tinkerers an die Spitze hochkämpfen konnten. Dafür wird in Spider-Man: Miles Morales auch gezeigt, dass der Untergrund unter der Führung des Tinkerers Mr. Negatives Gang, Fisks Gangster oder auch Tombstones Bande besiegen und deren Territorium übernehmen konnte. Auch die Mafiosi der Maggia-Familie waren gegen diese neue Gruppe machtlos.

 

Ohne zuviel zu spoilern kann man wohl bereits ahnen, dass der Tinkerer am Ende seine Führungsrolle einbüßen wird, was für Spider-Man 2 ein neuerliches Machtvakuum schafft, das durch andere Gruppen gefüllt werden könnte. Aber um auf den Untergrund zurückzukommen, diese "glowstick gang" erinnert mich visuell auch etwas an Wrench aus Watch Dogs und eine eher jugendliche Gang, die das Establishment zerschlagen will. Genau letzteres scheint ihnen ja gelungen zu sein, aber wohl doch nur temporär, solange sich alle anderen Fraktionen mangels ihrer Anführer, wie Mr. Negative, Tombstone oder den Kingpin höchstpersönlich, erst einmal reorganisieren und ein neues Management suchen müssen. Der Untergrund hatte in meinen Augen nur Erfolg, weil er auf keinen schlagkräftigen Widerstand mit tatsächlichen Superkräften oder der nötigen Gewaltbereitschaft treffen konnte. Das Grüppchen scheint zudem weit weniger politisch veranlagt zu sein, als man angesichts ihrer Straßenschlachten mit Roxxon-Panzerfahrzeugen glauben würde, denn es ist der Tinkerer, der ihnen diese Anti-Roxxon-Linie vorgegeben hat. Ohne diese Leitlinie würden sie wohl einfach ihre kurze Zeit an der Spitze genießen. So nebenbei hat sich die Gruppe ja auch im zum Abriss vorgesehenen Fisk-Tower eingenistet, wo man die geheimen Räume und Schatzkammern des Kingpin geplündert hat.

 

Das Beef des Tinkerer mit Roxxon und insbesonders Simon Krieger lässt die Gruppe fast in einem günstigen Licht erscheinen, wenn da nicht diese terroristischen Angriffe auf die New Yorker Infrastruktur bzw. das Schnellbahnnetz wären. Sich gegen einen Konzern aufzulehnen lässt den Untergrund ja schnell mal in die Rolle einer Robin Hood-Bane schlüpfen, aber genauso wie den Gangsterbanden vor ihnen liegt es dem Untergrund nicht daran von den Reichen zu nehmen und den Armen zu geben, sondern sich selbst zu bereichern - in diesem Fall weil man Roxxon als potentiellen Gegenspieler für seine Vorherrschaft betrachtet. So kämpfen dann mit Waffen des Tinkerer hochgerüstete "Punks" gegen "Corporate soldiers" in Ganzkörperkampfanzügen, die sie wie Sturmtruppen auftreten lassen.

 

Roxxon ist böse, aber der Untergrund ist als Gegner Roxxons nicht zwangsläufig "gut". Anders als Spider-Man 1 hat man es in Miles Morales mit etwas mehr Grauzonen zu tun, denn die Motive Phins lassen sich durchaus in Einklang mit denen eines Norman Osborn bringen. Osborn war auch gewillt, alles zu riskieren, um seine Familie zu retten. Phin gerät jedoch sogar in eine Lage, in der sie ihre Familie rächen will und da hört jede Vernunft auf. Am Ende würde ich Osborn immer noch als schlimmer betrachten, weil er so viele Leben zerstört hat, aber fördert schließlich auch eine Gruppe die zu den Mitteln von Terroristen greift.

 

Dass sich die Polizei nicht einmischt ist irgendwie verwunderlich, aber könnte auch am Releasedatum des Spiels liegen, denn es wurde 2020 nach dem Beginn der Corona-Pandemie und den Black Lives Matter-Protesten veröffentlicht. Letzteren kam man mit etwas virtue signaling durchaus noch entgegen, aber außer Lippenbekenntnissen und etwas set dressing hätte man sich ja durchaus eine etwas eindrucksvollere Nebenstory einfallen lassen können. Die Möglichkeiten dafür hätten sich jedenfalls geboten, auch hinsichtlich eines militärisch hochgerüsteten Roxxon, das seine security guards so einkleidet als würden sie jeden Tag in New York schon ein Kriegsgebiet betreten. Vielleicht hätte sich Roxxons Militarisierung ja nutzen lassen, um entsprechende Tendenzen gewisser US-Polizeibehörden zu thematisieren. Das eigentliche Police Department ist in Spider-Man: Miles Morales kaum zu sehen, während es in Spider-Man 1 durchaus noch eine tragende Rolle spielte.