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Review: Nach der Bombe (Philip K. Dick)

Die Welt geht unter, aber das Leben geht weiter...

Leider bin ich kein Literaturwissenschaftler, denn dann könnte ich mit Sicherheit sagen, ob Philip K. Dicks "Dr. Bloodmoney, or How We Got Along After the Bomb" bzw. in deutscher Fassung "Nach der Bombe" tatsächlich DAS Werk ist, welches erstmals das Leben in einer postapokalyptischen Welt nach einem Nuklearkrieg beschrieben hat. Aufgrund Dicks Einfluss als Science Fiction-Autor (er hat auch die Romanvorlagen zu Blade Runner, The Man in the High Castle, Minority Report und Total Recall geliefert) würde ich es zumindest für möglich halten, dass es Dicks Beschreibungen waren, die in die Populärkultur eingegangen sind. Dementsprechend interessant finde ich es, wenn man sich die Quelle dieser oft nachgeahmten und zur Gegenwartskritik benutzten Vorstellungen ansieht.

 

"Nach der Bombe" ist vielleicht gerade wegen der weltpolitische Lage im Jahr 2023 auch Jahrzehnte seit seinem Erscheinen (1965) wieder relevant. Im Roman sind die Sowjets und China, welche Amerika und den Weltfrieden bedrohen, allerdings eher zeitgerecht weil es um einen Kubakrieg geht. So ganz einfach ist es aber auch nicht, denn die erste Bombe ging schon Jahre vor den anfangs in "Nach der Bombe" geschilderten Ereignissen hoch, doch von ihr erfahren wir nur aus Erzählungen. Es war ein Atomtest des Nuklearphysikers Bruno Bluthgeld (des titelgebenden Dr. Bloodmoney) der zu einem zumindest die USA umfassenden verheerenden Fallout führte. Als die Ereignisse des Romans einsetzen ist Bluthgeld von massiven Schuldgefühlen geplagt und driftet in eine Paranoia ab, weshalb er eine Psychotherapie beginnen möchte. Was folgt ist das Ende der Welt, doch zunächst scheint es so, als stünde eine Sternstunde der Menschheit an - denn das Pärchen Walt und Lydia Dangerfield wird von der NASA als erstes Astronauten-Team in Richtung Mars geschossen. Der Start ihrer Rakete geht jedoch mit einem massiven Nuklearschlag einher und ihr Raumschiff strandet im Orbit, während die Zivilisation kollabiert und der Fallout Mutationen (inklusive übernatürlicher Fähigkeiten) zum Alltag macht.

 

Wir erleben die Geschichte von "Nach der Bombe" aus verschiedenen Point of Views, wie des verhinderten Mars-Kolonisten Walt Dangerfield, des Vertreters Stuart McConchie, des Zigaretten und Schnapshändlers Andrew McGill, dessen Tochter, sowie Hoppy Harringtons, eines der ersten Mutanten, der nicht erst durch Bluthgelds Nuklearunfall zu einem solchen wurde. Diese bunte Ansammlung von Charakteren führt uns in eine postapokalyptische Gesellschaft ein, die sich grob mit einer Wild West-Gemeinschaft vergleichen ließe.

 

An sich ist "Nach der Bombe" ein eher kurzes Buch, mit einer Story die zunächst eine interessante Welt voller Charaktere aufbaut, von denen man vielleicht auch mehr erfahren möchte. Doch der Plot wird für heutige Verhältnisse auch relativ schnell und vielleicht etwas unbefriedigend exekutiert. Ich sehe darin aber eine Stärke dieses Werks aus dem Jahr 1965, denn ich habe etwas ähnliches schon mit The Man in the High Castle erlebt. In den 60er-Jahren war man noch nicht so darauf fixiert möglichst viel für Sequels und Franchisebuilding offen zu lassen und dann regelmäßig Fortsetzungen nachzuliefern. Dicks Werke sind daher auch etwas besonderes und in meinen Augen das Gegenteil modernerer "Einwegliteratur". Bücher wie The Man in the High Castle oder Nach der Bombe profitieren von mehrmaligen Lektüre und etwas tieferer Beschäftigung mit dem Plot, den Charakteren und der geschaffenen Welt. In einem noch nicht ganz so hektischen Zeitalter trug das auch zum Erfolg eines Romans bei und ich sehe in der "Wiederverwertbarkeit" von Werken auch heute noch den größten Wert. Ein Buch, Film oder Videospiel das mich dafür begeistern kann, mehr als nur einmal gelesen, gesehen, gespielt oder gehört zu werden hebt sich  für mich schon deutlich von der Masse ab. Allerdings widerspricht das halt dem modernen Trend, der von einer Fear of Missing out angetrieben wird. Wenn ich aber, wie eingangs schon erwähnt, auf Werke zurückblicke welche das Fundament für unzählige modernere Geschichten gelegt haben, dann hinterfrage ich auch, warum ich mich von dieser Angst etwas zu verpassen infizieren lasse, wenn die entsprechenden Geschichten wohl doch nur irgendeine neue Abwandlung bereits geschriebener (und leider nicht mehr allzu bekannter) Werke sind.

 

Nach der Bombe ist ein Produkt seiner Zeit, so auch hinsichtlich der Vorstellung durch radioaktive Strahlung ließe sich die Evolution in ganz neue Bahnen lenken. In den postapokalyptischen USA gibt es daher auch Hunde, welche allmählich lernen die menschliche Sprache nachzuahmen und die Katzen könnten schon längst ihre eigene Sprache samt unklarer Folgen entwickelt haben. Da fragt man sich vielleicht, ob Mr. Trees sprechender Hund vielleicht eine Inspiration für Cosmo the Spacedog gewesen ist und welchen Einfluss die potentielle Verschwörung der Katzen auf eine ganz bestimmte Futurama-Folge hatte. Aber auch die Menschen haben sich teils in andere Richtungen entwickelt. Dr. Bluthgeld etwa in größenwahnsinnige Fantasien und scheint sogar dazu in der Lage zu sein, eine Welle neuer Nuklearschläge manifestieren zu können - etwas das mich stark an die Gigalomaniacs aus den Science;Adventure-Visual Novels erinnert, nur eben um einiges mächtiger. Die Vorstellung vom arm- und beinlosen Hoppy Harrington als übermenschlichen Wesen mit Psi-Kräften könnte ebenfalls mehr als nur einen Nachahmer gefunden haben, auch hinsichtlich Hoppys Talent die Stimmen ihm bekannter Personen perfekt nachzuahmen (was mich allerdings eher an den Terminator denken lässt, doch Hoppy ist ja auch eine Art Bösewicht). Walt Dangerfield hat derweil nicht nur einen Namen, der wie für einen Streamer/Influencer/Podcaster/Youtuber geschaffen wäre, sondern hält mit seinen Funkübertragungen aus dem Erdorbit auch so manche der irdischen Gemeinschaften zusammen. Die kriegsbedingte Zerstörung, hat auch die Unterhaltungsindustrie auf dem Planeten nahezu völlig ausgelöscht und wer noch ein funktionsfähiges Radio besitzt kann sich zumindest einige Stunden am Tag an Dangerfields Übertragungen erfreuen, in denen er aus Romanen vorliest, Musik abspielt oder sich sogar mit Zuhörern unterhält, die ihn dank funktionierender Funkgeräte von der Erde aus erreichen können. 

 

Dangerfield ist vielleicht der modernste Charakter des Buchs, denn er ist zwar eine Art Hoffnungsbringer für die Welt, aber zugleich auch eine nicht ganz fehlerfreie oder heldenhafte Persönlichkeit. Dangerfield betreibt seine Übertragungen, um sich vor tödlicher Langeweile zu retten, denn seine mit ihm in den Erdorbit geschossene Frau hat sich bereits nach massiven Depressionen das Leben genommen. Vor seinem Flug zum Mars war Dangerfield schon so etwas wie ein Promi, der das Rampenlicht sehr genoss, doch in "Nach der Bombe" ringt er unbewusst auch mit den psychischen Problemen, dass er im Erdorbit ganz alleine in einem Raumschiff eingeschlossen ist. Dank der für die Reise zum Mars eingelagerten Vorräte ist er zwar gut ausgestattet, aber die Isolation zeigt ihre Spuren.

 

Zunächst wird man sich bei der Lektüre aber erst einmal fragen, wann die Geschichte nun wirklich anfängt. Der Zeitsprung wird nämlich nicht wirklich (zumindest in meiner Edition) angekündigt und passiert einfach, gegen Ende der Einführung der meisten Charaktere. Wir erfahren nur aus Rückblenden einiger Charaktere vom Tag des Weltuntergangs oder der Zeit kurz danach. Es ist nicht ganz frei von Ironie, dass wir den "Judgement Day" etwa aus der Perspektive Bonnie Kellers erleben, die sich nach den Schockwellen der Explosion aus ihrem verwüsteten Haus auf die Straße flüchtet und dort in eine Affäre mit dem vorbei reisenden Andrew Gill stürzt. Der kleine Tod feiert das Leben - und später entspringt der Beziehung zu Gill auch Bonnies Tochter Edie. Stuart McConchie wiederum erinnert sich an die Tage, als er wie in Hoppys Vision tatsächlich rohes Rattenfleisch verspeiste.

 

 

Hoppy Harrington ist als "Bösewicht" des Buchs eine vielleicht auch ungewöhnliche Wahl. In der Welt nach der Bombe ist nicht mehr alles so weiß und schwarz wie zuvor. Als Phokomelus hat Hoppy weder Arme noch Beine und war vor dem Weltuntergang auf eine Art Wagen und Roboter-Arme angewiesen. Was Hoppy jedoch allen anderen Charakteren überlegen macht sind seine Fähigkeiten. Bereits eingangs demonstriert Hoppy sein unheimliches Talent Dinge zu reparieren und er scheint durch Alkoholgenuss in einem Trance-Zustand Visionen der Zukunft erhalten zu können. Doch wie sich herausstellt, steckt noch weit mehr in dieser vermeintlich bemitleidenswerten Gestalt. Wegen seines körperlichen Zustands kommt sich Hoppy zwar herabgesetzt vor, doch er ist wahrscheinlich das wichtigste Mitglied der Gemeinschaft im Marin County. Hoppys "Reparaturtalent" hält alles am Laufen, in einer Zeit als Techniker praktisch auch immer wieder von benachbarten Gemeinden entführt werden. Insgeheim beherrscht Hoppy jedoch auch eine ausgeprägte Form von Telekinese und plant mit seinen überlegenen Fähigkeiten zur Stimmen-Imitation und einer eigens gebauten Sendestation Walt Dangerfields Satelliten zu kapern. Hoppys Ziel ist es praktisch, den kränkelnden Dangerfield zu ersetzen und dessen Mythos für seinen eigenen Geltungsdrang zu nutzen. Nun ist Hoppy an sich nicht durchtrieben böse, aber er schlägt doch zerstörerische Wege ein, etwa als er zwei sehr unterschiedlich bedeutsame Charaktere ermordet. Den einen weil er glaubte einfach so über ihn verfügen und ihn entführen zu können, den anderen weil er durch seine Fähigkeiten eine Bedrohung für sein Umfeld und damit auch Hoppy darstellte. 

 

Hoppys Rolle als "Bösewicht" ist jedoch etwas unsicher, denn seine beiden Morde ließen sich durchaus rechtfertigen und Dangerfield quasi rechtzeitig zu ersetzen, hätte der Welt im Ernstfall wohl auch das Trauma des Todes vom Mann im Orbit erspart. Gerechtfertigter Mord scheint im postapokalyptischen Marin County wohl ohnehin vertretbar zu sein, wie im Fall des hingerichteten Lehrers und Pilzexperten Mr. Austurias, einer der ehemaligen Affären Bonnie Kellers (deren Mann im Rat der Gemeinde sitzt und eine entsprechende Rolle beim Urteil spielte), weil dieser angeblich einen Mordversuch an Jack Tree plante. Dicks Schreibweise lässt es aber zu, dass man das Todesurteil gegenüber Austurias nicht nur als mögliche Vertuschungsaktion von Trees wahrer Identität als Dr. Bruno Bluthgeld sieht - denn Bluthgelds paranoide Fantasien davon verfolgt und mit Mord bedroht zu werden könnten sich auch einfach auf unerklärliche Weise manifestiert haben (Bluthgeld könnte ja generell die übernatürliche Fähigkeit besitzen, seine Fantasien Realität werden zu lassen). Vielleicht sollte ich das Buch mit einem genauen Blick auf diesen Aspekt noch einmal lesen.

 


Unterm Strich ein für meinen Geschmack sehr interessantes Buch, aus dem sich viel herauslesen lässt.