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Crash-Landung auf dem roten Planeten (Deliver us Mars - Review)

Meine Erwartungen an das Sequel zum Indie-Erfolg Deliver us the Moon waren eigentlich bescheiden, mir hätte etwas more of the same ja gereicht...

Deliver us Mars war 2023 meine erste Spiele-Enttäuschung und das bei einem Titel, dem ich mit einiger Begeisterung entgegengefiebert habe. Ich habe sogar trotz günstigerer Angebote bei Drittanbietern via Steam vorbestellt, nur um den Entwicklern ein möglichst großes Stück vom Kuchen zu garantieren. Deliver us Mars ist aber ein ganz anderes Spiel als Deliver us the Moon geworden und das obwohl man zumindest oberflächlich einige Features wie den Schneidelaser oder die ASE-Drohnen beibehalten und ein direktes Sequel zur Story des Vorgängers vorgelegt hat. 

 

Nach dem Erfolg des Vorgängers war klar, dass die Entwickler im nächsten Teil wohl etwas draufsetzen wollen und die Story in Richtung des Mars verlagern könnten. Mit mehr Ressourcen konnte man sich auch an ambitionierteres Leveldesign wagen, aber man hätte nicht versuchen müssen das Rad neu zu erfinden. Die Story von Deliver us Mars hat schon etwas für sich, zumindest in meinen Augen, aber dazu später mehr, wenn ich dem Spiel etwas positives abzugewinnen versuche. Zunächst möchte ich aber auf die aus meiner Sicht eben nicht notwendigen Änderungen im Gameplay konzentrieren. Zeitlimits wie in Deliver us the Moon sind weg und damit auch der Timer auf dem Sauerstoffrucksack. ASE-Rätsel, Zeitlimits, Schwerelosigkeits-Episoden und das Herumtragen von Energiezellen wurden generell drastisch reduziert, stattdessen hat man das Gefühl, dass die Diversität des Vorgängers mit Kletterpassagen und dem einen oder anderen Energiestrahlen-Rätsel ersetzt wurde. Was mich mehr stört als das Verbinden von Energiestrahlern ist allerdings ganz klar das fummelige und frustrierende Klettersystem, mit dem man sich aus meiner Sicht etwas zuviel vorgenommen hatte. Das ganze wäre noch erträglich, wenn nicht gefühlt in jedem Level und bei jedem Umgebungswechsel irgendwelche Kletterpartien nötig wären, bei denen ich mich mit Maus und Tastatur auf mein Glück verlassen musste, ob Sprünge von Wand zu Wand oder ähnliches überhaupt funktionieren. Möglicherweise hat man es mit einem Controller leichter, denn so einige der Tests der Konsolenversion schienen mir überhaupt nicht auf Kletterprobleme zu sprechen zu kommen.

 

Ansonsten hat man sich hinsichtlich Level- und Charakterdesign ja wirklich Mühe gegeben. Die Wohnmodule auf dem Mars wirken durchaus belebter als noch auf dem Mond. Und man hat sich auch entschieden allen Charakteren nun Gesichter zu geben, allerdings nicht so bei den holografischen Aufzeichnungen, die immer noch gesichtslose Dummys zu sein scheinen. Wie gut die Gesichter gelungen sind ist vielleicht Geschmackssache, ich tendiere aber auch eher zur Bezeichnung Uncanny Vally, denn man hat sich vielleicht etwas zu sehr einem nicht erreichbaren Realismus verpflichtet gefühlt.

 

 

Ganz großes Drama

 

Die aus den Aufzeichnungen auf dem Mond bekannten Charaktere Sarah Baker und Isaac Johanson sind wieder mit von der Partie, ebenso wie die im Vorgänger noch auf der Erde zurückgebliebene Claire Johanson. Was in Deliver us the Moon eine interessante Nebenstory zu sein schien, die mit dem größeren Plot verbunden war, wird in Deliver us Mars jedoch zum Main Event. Schon der Prolog zerrt die Familienprobleme der Johansons auf die große Bühne und lässt Isaac Johansons Aufbruch in richtung Mars wie eine versuchte Kindesentführung wirken, die ich mir so allerdings gar nicht erwartet hätte. In Deliver us the Moon schien es noch so, als ob die drei Archen bereits vor einiger Zeit vom Mond abgeflogen sind, doch in Deliver us Mars hat sich die dritte Arche bis nach der Mission von Deliver us the Moon Zeit gelassen. Wie die Mondkolonie an all die Ressourcen für den heimlichen Bau von 3 Kolonieschiffen samt innovativer Technologien kommen konnte, wird auch diesmal nicht geklärt. Dafür ist die Zephyr der WSA-Mars-Mission aus allem zusammengebastelt was man auftreiben konnte, auch Teilen des Weltraumlifts der Mondbasis. Diesmal dürfen wir auch erfahren, wie es auf der Erde zugeht und dass diese von globalen Unruhen und militärischen Konflikten erschüttert wird. Dass der Vorgänger die Lage auf der Erde teils verschwieg wurde also nun korrigiert. 

 

Während man in Deliver us the Moon erst im Verlauf der Story erfuhr, was mit den Kolonisten passiert ist und was außerdem aus Sarah Baker wurde, hat man in Deliver us Mars von vornherein eine ganz klare Aussicht - die Kolonisten sind unter der Führung William MacArthurs auf den Mars geflohen und haben besitzen an Bord der Archen derart wertvolle Prototypen für Terraforming, dass sich mit diesen wohl auch die desolate Erde noch retten ließe. Die Reise zum Mars hat also primär mit der Rettung der Welt zu tun, da könnte es einem auch egal sein, ob die Mars-Kolonie gescheitert ist.

 

Im Gegensatz zum Vorgänger spielt aber auch der Familienkonflikt der Johansons und Sarah Bakers Trauma aufgrund der Ereignisse auf dem Mond eine zentrale Rolle und da Kathy Johanson zur Protagonistin auserkoren wurde könnte man auch argumentieren, dass das interpersonelle Drama sogar die interplanetare Krise überschattet. Zum Beginn meines Playthroughs störte mich das ganze Drama zwischen den Johanson-Geschwistern, ihrem Vater und dann auch noch Sarah Bakers Zweifeln an Kathys Eignung für die Mars-Mission noch massiv. Und dann wird der Plot auch noch durch Rückblenden in Kathys Kindheit und entsprechende "Tutorial-Missionen" für ihre spätere Raumfahrer-Karriere unterbrochen. In diesen Rückblenden erfährt man etwas mehr vom Familienzwist im Hause Johanson, den man in Deliver us the Moon gerade einmal aus einigen Datapads und dergleichen herauslesen konnte. Kathy ist ganz Papas Liebling und die Zweifel an ihrer Fähigkeit den eigenen Vater und dessen Pläne aufzuhalten ist daher nicht ganz unberechtigt.

 

Aber auch Sarah Baker und Claire Johanson haben ihre ganz persönlichen Gründe mit Isaac Johanson abzurechnen. Baker hat Johanson ja auf dem Mond fast umgebracht, was im Verlauf des Sequels immer wieder zu eindringlichen Szenen führt, die zeigen wie sehr die Astronautin von diesem Vorfall verwundet wurde (mehr als nur physisch). Und Claire sieht sich in der Konfrontation mit ihrem Vater auch mit dem Mann konfrontiert, der ihr Kathy jederzeit vorgezogen hat und schlussendlich sogar entführen wollte, alles während Claire nach dem Tod ihrer Mutter gegenüber der jüngeren Schwester eine Mutter-Rolle erfüllen musste. Da wäre es doch nicht verwunderlich, wenn die WSA-Mars-Mission auch dazu führt, dass Isaac Johanson am Ende das Zeitliche segnet, egal wie wichtig er für die Rettung der Erde sein könnte?

 

Natürlich, Deliver us Mars scheitert in vielen seiner Ambitionen daran, doch nur ein Indie-Spiel zu sein und neben der bescheidenen Grafik hätte man durchaus noch mehr dafür tun können, die Spielwelten belebter zu gestalten. Zumindest findet man in einer Szene des Spiels tatsächlich jene Leichen, die ich seit Deliver us the Moon vermisse. Leute sind auf dem Mond und Mars ja wohl auch gestorben, aber hat man diese Körper wirklich immer geborgen und verschwinden lassen? Man findet  immer wieder einmal Nachrichten von scheinbar "Verschwundenen" und kann mutmaßen, dass diese irgendwie zu Tode gekommen sind, aber visuell fehlen die Hinweise. Die Deliver us-Spiele sind halt kein Horror und im Grunde auch mit sehr geringer Altersgrenze spielbar, sodass es aus diesem Grund vielleicht sinnvoll war mit dem Realismus zu sparen. Das Indie-Framework lässt sich aber auch noch als Erklärung für etwas anderes nutzen, Deliver us Mars bietet selbst am Schluss keine multiplen Enden oder abweichenden Szenarien, da die Story völlig linear abläuft. Es heißt zwar oft, Story wäre billiger als Gameplay und Indie-Games könnten genau damit punkten, aber vielleicht hat man sich mit dem Mars Climbing Simulator etwas zu stark auf das nicht ganz perfekte Gameplay konzentriert. 

 

Auch Deliver us Mars scheint sich Inspiration bei populären Science Fiction-Werken wie The Expanse, Interstellar oder Der Marsianer geholt zu haben. Ohne zuviel zu spoilern, das Ende teasert diesmal aber noch kein Sequel an, soviel also zur Vorstellung Outward könnte zu einer Outer Planet Alliance werden. Was man auf dem Mars über die Kolonialisierungsbemühungen erfährt ist durchaus interessant und war für mich ein Grund, das Spiel dann doch in einem sehr positiven Licht zu sehen, ungeachtet meiner Ernüchterung über das im Vergleich zum Vorgänger enttäuschendere Gameplay. Die Story wäre auch ein Grund, warum ich Deliver us Mars gerne ein zweites Mal durchspielen würde, aber nur wenn sich die Klettersteuerung mit einem Controller als wirklich präziser erweist als mit Maus und Tastatur, denn dieser eine essentielle Gameplay-Aspekt versalzt mir die ganze Suppe.

 

Um doch etwas mehr ins Detail zu gehen und dabei auch den einen oder anderen Spoiler anzuschneiden, die Besiedlung des Mars lief nach einem enthusiastischen Anfang immer schwieriger.

William McArthur war die treibende Kraft hinter Outward, doch der ehemalige Sicherheitschef der Mondkolonie kann trotz der Unterstützung Isaac Johansons selbst als Mars-Diktator nicht verhindern, was auf dem Mars passiert. An einer Stelle im hydroponischen Garten der Mars-Kolonie erfahren wir etwa, dass man nicht nur Probleme mit der Nahrungsgewinnung hatte, sondern als Lösung für die mangelnde Moral der Kolonisten begann Antidepressiva mit den Lebensmittel-Rationen auszugeben. Nicht alle Mars-Kolonisten hatten zudem wirklich mit der Erde gebrochen und diese völlig aufgegeben, was zur Entstehung einer Homeward-Bewegung beitrug.

 

Die grandiosen Pläne McArthurs und seine öffentlichen Auftritte stehen in Deliver us Mars auch im starken Kontrast zu den persönlichen Szenen zwischen ihm und Isaac Johanson, in welchen McArthur mit dem Scheitern seiner Pläne und der Aussichtslosigkeit seiner Lage konfrontiert wird.

Die gezeigten Bilder sind übrigens Beispiele dafür, was ich mit den gesichtslosen Dummys als Hologramm-Aufzeichnungen meine. Ich kann damit leben, jedenfalls mehr als mit dem Kletter-Gameplay. Einmal auf dem Mars angekommen wird die Story wirklich spannend und man kann sich einige Szenarien vorstellen, was in McArthurs Utopia schief gelaufen sein kann, aber welches stimmt. Ich war auf jeden Fall begeistert davon, dass man die Kurve gekratzt und doch eine interessante Science Fiction-Story geschaffen hat. Ich würde Deliver us Mars definitiv noch einmal durchspielen und Achievements jagen, wäre da nicht das Gameplay. Somit tue ich mir schwer für ein weiteres Sequel zu werben, ich bin aber gespannt was die Entwickler womöglich nach dieser Duologie aus dem Hut zaubern werden, vielleicht wird man sich ja zur Abwechslung mal an einem ganz anderen Genre versuchen.