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Life is Strange: True Colors (Review)

Zum vorläufigen Abschluss meiner Reise durch das Life is Strange-Franchise habe ich mich natürlich auch in das Bergstädtchen Haven aufgemacht...

Deck Nine hätte ich nach dem eher bescheidenen Life is Strange: Before the Storm und den gegenüber den Originalen kaum herausstechenden Remasters von Life is Strange 1 und Before the Storm nicht allzu viel zugetraut. Before the Storm war für mich hinsichtlich seiner Story und grafischer Mängel (das Spiel sieht in meinen Augen weniger gut aus als Life is Strange 1) eigentlich ein Grund Deck Nine als Erben des Life is Strange-Franchise zu misstrauen und die Leistungen des Studios bei den Remasters waren so unauffällig, dass ich sogar jenen Kritikern zustimmen würde, die meinen man könne sich auch genauso gut die Originale kaufen. Trotzdem habe ich Life is Strange (3): True Colors eine Chance gegben, wobei ich zugeben muss, dass ich mir seinerzeit in einem Steam-Sale die Ultimate Edition von True Colors gekauft habe, in der die Remaster von Life is Strange 1 und Life is Strange: Before the Storm (als Life is Strange: Remastered Collection) enthalten sind. Life is Strange 1 hatte ich da schon, aber eben nicht Before the Storm und so konnte ich mir einreden, den ersten Teil noch einmal als Remaster zu bekommen würde mir zumindest den Vergleich erlauben (allzu viele Unterschiede konnte ich nicht feststellen, ich finde den Remaster aber trotzdem in seiner Grundtendenz etwas hübscher anzusehen). Und so konnte ich auch 2 fast identische Life is Strange 1-Playthroughs für mich rechtfertigen. Man kennt ja das Meme, nach dem RPG-Spieler sich immer vornehmen andere Entscheidungen zu treffen und dann fast zu 99% das gleiche wie schon bei einem der letzten Male machen. So gesehen hatte ich schon meinen Spaß an der True Colors Ultimate Edition, bevor ich das eigentliche Spiel angefangen habe.

 

Grafisch ist Life is Strange 3 ein massiver Fortschritt gegenüber Life is Strange 2 und das obwohl nur 3 Jahre zwischen den beiden Spielen liegen. LiS 3 ließ so nebenbei aber auch die Seriennummer fallen und nennt sich nur noch Life is Strange: True Colors, womit man sich von den beiden Life is Strange-Titeln von Dontnod Entertainment abgrenzt. Fortan wird man wohl sagen können, dass jedes Life is Strange ohne Nummer, aber mit Untertitel von Deck Nine stammen wird, so wie schon Life is Strange: Before the Storm. Das Erbe und der Schatten des Erfolgs von Dontnod Entertainment ist aber auch etwas, womit das Franchise belastet ist. Der Erfolg des ersten Titels und auch des Sequels lassen sich nicht mehr so einfach wiederholen. LiS 1 ist irgendwie ein Unikat und LiS 2 zeichnet sich auch dadurch aus, dass es den Finger am Puls der Zeit hatte (2018 - mitten in der Ära Trump). So entstand zwar ein Franchise, aber es sollte jedem klar sein, dass Franchises vor allem darauf aufbauen eine bestimmte Formel zu kopieren. LiS 2 hatte da in meinen Augen einen großen Fehler begangen und trotzdem Erfolg gehabt - denn Dontnod Entertainment hat es für das Sequel riskiert sich von der Erfolgsformel des Vorgängers abzuwenden. Meiner Ansicht nach hat man in LiS 2 den episodischen Content aber auch irgendwie überstrapaziert. Als das Spiel erschien mag es noch mehr Spaß gemacht haben in jeder neuen Episode ein anderes Setting zu erleben und auch durch "Missionen" wie das Herumtragen von Wassertanks in Episode 3 mehr Zeit in diesen Episoden verbringen zu können. Wenn man das fertige und gesammelte Werk jedoch vor sich hat wirkt es anders und für mich etwa stark überfrachtet. Deck Nine hat für True Colors gleich gar keinen episodischen Release gewählt, auch wenn das Spiel in 5 Kapitel gegliedert wurde. Diese 5 Kapitel orientieren sich dafür aber mehr am Aufbau von Life is Strange 1 oder auch Before the Storm. Man bleibt stets in Haven und die Story wird kontinuierlich weiterentwickelt.

 

True Colors hat sogar etwas schwieriges geschafft, es hat mich mit Before the Storm versöhnt. Dieses Prequel zum ersten Life is Strange ist zwar nicht das was ich mir von einem solchen erhofft hatte, aber für sich genommen ist es durchaus eine funktionierende Life is Strange-Story. 

 

So wie seine beiden Vorgänger (aber anders als Before the Storm) verleiht True Colors seiner Protagonistin erneut übernatürliche Fähigkeiten, diesmal eine Form von Empathie-Telepathie mit der Alex nicht nur die Farbe der Emotionen bestimmter Charakter erkennen kann, sondern auch in der Lage ist die mit dieser Emotion verbundenen Gedanken zu lesen. Diese Fähigkeit wirkt für eine Detektivgeschichte zunächst einmal praktisch, ist aber eben auch stark davon abhängig, seinem Gegenüber die für das Weiterkommen richtige Emotion zu entlocken. True Colors bleibt aber dem Franchise treu und hält sich mit der Detektivarbeit zurück, was bedeutet, dass die entsprechenden Ermittlungsszenen sehr stark gescriptet sind und keinen Spielraum für ein Game Over liefern. LiS bleibt ein sehr stark plotgetriebenes Franchise, das sich nicht zu sehr in seinen Spielmechaniken verliert. Es mag nun vielleicht sogar so wirken als wäre True Colors ziemlich bodenständig und ich würde das auch bestätigen, aber auch der neueste Ableger hat Momente in denen die Protagonistin gefühlt den Boden unter den Füßen verliert. In True Colors kommt es etwa vor, dass Alex sich in den empfundenen Emotionen verlieren kann und somit etwas zu tief in der Gefühlswelt einer Zielperson abtaucht. Was dann folgt ist eine "Verzerrung" der Realität, in der man allerdings auch sehr wertvolle Einsichten in die Motive des jeweiligen Charakters gewinnen kann.

 

True Colors macht in meinen Augen vieles richtig, gerade hinsichtlich der Erzählweise und der Inszenierung von Alex "Superkraft". Die Schwäche des Spiels könnte jedoch sein nicht immer ganz glaubwürdige Plot sein und das in einer Geschichte, in der man von einem LARP in eine waschechte RPG-Szene hineinversetzt wird. Es wird gerade gegen Ende hin etwas zuviel herbeikonstruiert, um mich noch ganz zu überzeugen - gerade hinsichtlich des/der Antagonisten. Meiner Meinung nach hat man es sich am Ende eine Spur zu einfach gemacht, aber vielleicht ist das auch Geschmackssache.

 

Im Vergleich mit früheren LiS-Titeln geht man in True Colors eine Spur anders an das große Rätsel heran. Alex kommt auf Einladung ihres Bruders nach Haven und alles scheint für den Großteil des ersten Kapitels in bester Ordnung zu sein. Als ich zum ersten Mal von True Colors gehört habe, hatte ich da einen anderen Eindruck, denn in der Vorstellung des Spiels war ziemlich klar davon die Rede, dass man den Tod von Alex Bruder verarbeiten würde. Da fragte ich mich naturgemäß den Großteil des ersten Kapitels, ob ich True Colors da mit einem anderen Spiel verwechselt haben könnte. Ohne ein Rätsel und persönlichen Antrieb würde die Geschichte jedoch nicht sonderlich viel bieten? So wie einem Haven anfangs vorgestellt wird scheint ja alles perfekt zu sein, wenn man auch schon erkennen kann, wo vielleicht das eine oder andere familiäre Problem lauern dürfte. Wenn das Spiel jedoch schon offiziell damit beworben wird, dass man den Tod von Alex Bruder aufklären muss, dann ist das im Grunde kein Spoiler mehr. Gabe Chens unerwartetes Ableben wirft zwar einige Probleme für Alex auf, aber die ganze Atmosphäre ist nicht so unangenehm wie in LiS 1 (mit Chloes Familienproblemen und dem Mobbing das an der Blackwell Academy üblich ist) und schon gar nicht so beklemmend wie in LiS 2, wo man praktisch von einem Desaster in das nächste fliehen muss. Haven ist wirklich ein sicherer Hafen und genau das nimmt dem Szenario für mich auch ein wenig die Spannung. Alex steht vor keiner neuen Herausforderung und muss sich lediglich damit beschäftigen, mit ihrer Vergangenheit und den offenen Fragen um Gabes Tod fertig zu werden. So gesehen ist True Colors hat einen für Life is Strange unerwartet hohen Wohlfühlfaktor. Fast alle Charaktere sind nett und weltoffen, da ist keine Spur von den oberflächlichen Antagonisten aus Life is Strange 2 zu finden, die kein Problem hatten einen mexikanischstämmigen Teenager zusammenzuschlagen. Haven ist fast so etwas wie ein Hipster-Dörfchen mit Plattenladen, eigener Indie-Radiostation und einem Stadtrat der schon mal ein LARP im örtlichen Park und entlang der Hauptstraße genehmigt, nur um den "Stiefsohn" des verstorbenen Gabe Chen wieder glücklich zu machen. Alex Chen hat mit weniger offenem Widerstand und kalter Ablehnung zu kämpfen als ihre Vorgängerinnen, aber ich finde, dass das True Colors nicht zu einer schlechteren Geschichte macht - dem gewählten Szenario fehlt nur etwas an "Spannung". 

 

LiS 1 sticht für mich immer noch aus dem Franchise heraus, weil man mehr weltverändernde Entscheidungen treffen und vor allem beobachten konnte. Ob Kate Marsh etwa Selbstmord begeht ist entscheidet schon sehr früh über die Stimmung, die sich über den Rest des Spiels legen wird. Selbst LiS 2 konnte in meinen Augen nicht mit dem ersten Teil des Franchise mithalten, weil es dazu neigte die Auswirkungen der getroffenen Entscheidungen auf das letzte bzw. auch das vorletzte Kapitel zu verlagern. Das vermittelte zumindest mit den Eindruck, dass LiS 2 keine sehr "tiefen" Auswirkungen für meine Entscheidungen bereit hielt und daher eher "seicht" ist. Einen derart "seichten" oder oberflächlichen Eindruck habe ich auch von True Colors. Das Spiel ist eindeutig kein mutiger Schritt nach vorne, sondern baut sich ein behagliches Nest aus Standards, welche in den Vorgängern etabliert wurden. Vielleicht findet man noch den Mut etwas mehr zu riskieren, weil man sich mit dem ersten "Main Titel" im Life is Strange-Franchise (sollte man Before the Storm nicht zählen) nicht zu weit aus dem Fenster lehnen wollte. Alles in allem würde ich True Colors daher eher als mittelmäßiges Life is Strange einordnen.