"Let me pass on to you the one thing I've learned about this place. No one here is exactly what he appears."
- G'Kar

Babylon 5 gehörte zu den SciFi-Serien der 90er, die ich wohl mangels Kabelfernsehen nie in ihrer Entstehungszeit erleben konnte. Erst Jahre traf ich einmal auf einem Sat-Sender beim Zappen auf eine Folge und fand das Set-Design damals nicht sehr ansprechend und den Plot als nichts dem ich folgen konnte. Es war also definitiv keine Serie mit der ich aufgewachsen bin und sie macht es einem auch nicht leicht, weil sie meiner Ansicht nach mit 2 großen Faktoren abschrecken wirkt: die nicht besonders anregenden Intros und einen Plot, der zumindest meiner Meinung nach weitgehend auf echte Füller verzichtet. Letzteres ist heutzutage eine angenehme Abwechslung zu dem wofür viele 90er-Serien stehen, nämlich massig Füller und wenig plotrelevante Folgen, etwas das aber leider auch bei manchen Streaming-Serien der Fall zu sein scheint. Babylon 5 ist da anders und um den Plot wirklich folgen zu können müsste man schon bei 0 anfangen, dem Pilotfilm. Tut man sich das an, so wird man mit einem der besten Science Fiction-Werke der 90er belohnt und einer Storyline, die von Mass Effect bis The Expanse einiges der jüngeren SciFi mit Kultstatus inspiriert zu haben scheint. Ich habe diesen Sprung gewagt und vom Pilot bis zur letzten Folge der fünften Staffel wohl mindestens einen Monat in dieser Welt verbracht, die so viele andere lieb gewordene SciFi-Welten beeinflusst haben dürfte.
Interessanterweise entstand Babylon 5 fast zeitgleich zu einer anderen legendären SciFi-Serie der 90er, nämlich Star Trek Deep Space Nine, das vielleicht etwas mehr Popularität genießt, aber vorwiegend weil es zum Star Trek-Franchise gehört. DS9 ist eine Serie die ich ebenfalls hoch schätze und die tatsächlich meine Kindheit und Jugend begleitet hat. Aufgrund der Dichte an Content und Subplots in Babylon 5 hätte ich angenommen, dass sich auch DS9 bei B5 bedient hat, aber das ging zeitlich kaum. DS9 ist zudem seinen eigenen Weg gegangen und das mit vielen Füller-Episoden. Ich liebe die Serie trotzdem, weil sie Themen anschnitt, die in anderen Serien, auch des Star Trek-Universums, oft nach nur einer Episode abgeschlossen und meist zum guten gewendet waren. DS9 bot ein zähes Ringen um die demokratische und freiheitliche Zukunft des Planeten Bajors, aber auch ihrer ehemaligen Besatzer, der Cardassianer und so nebenbei spielten auch mehrere andere Spezies und Staaten noch eine tragende Rolle.
Babylon 5 wirkt auf dem ersten Blick vielleicht wie ein DS9, immerhin geht es um eine "multinational" besetzte Raumstation und deren menschliche Crew, die hier eine wichtige diplomatische Nachkriegs-Funktion erfüllen soll. Zeitgleich verschieben sich aber auch die politischen Gleichgewichte an der jeweiligen Heimatfront. Wo DS9 eher oberflächlich bleibt, vertieft sich B5 in die politischen Aspekte und es bleibt nicht bei gestaltwandelnden Infiltratoren, welche an den Fraktionskämpfen schuld sind. B5 geht sogar weiter als DS9 und stellt während eines ähnlich gelagerten Subplots mit Quasi-Gedankenkontrolle auch die Frage, ob und inwieweit die beeinflussten Akteure vielleicht doch selbst schuld gewesen sind. B5 hat keine Changelings aus dem Gamma-Quadranten und auch keine Supermedizin, mit der sich alle Probleme lösen ließen. Am nähesten kommt B5 da noch Mass Effect und generell ist BioWares Epos wohl eines der jüngeren Werke, welches klar von Babylon 5 beeinflusst sein dürfte. Auch Mass Effect hat einen Commander als Protagonisten, der in die Rolle eines Diplomaten und Brückenbauers versetzt wird, um eine unheilvolle galaxisweite Bedrohung aufzuhalten, die schon alte Zivilisationen auslöschte. Zudem ist die Citadel fast so etwas wie Babylon 5, ein zentraler Treffpunkt für alle Spezies die Galaxis, die dort ihre Botschaften eröffnen und auf ihr Mitspracherecht in Angelegenheiten von galaktischer Tragweite pochen können. B5 ist halt weniger gefestigt in dieser Rolle als politisch-diplomatischer Knotenpunkt, da die Station noch jung und zudem von der Earth Alliance betrieben wird. B5 ist noch eher eine oft zahnlose UNO, während der Citadel-Rat ja durchaus als galaktische Regierung auftreten kann, inklusive eigener Streitkräfte, so gesehen ist man dort zumindest auf dem Level einer EU oder NATO.
Babylon 5 erzählt jedoch eine Geschichte wie der Wunsch nach intergalaktischer Verständigung und der Vermeidung künftiger Kriege auf einer Raumstation so etwas wie eine UNO hervorbringen kann und wie diese sich durchaus noch weiter zu entwickeln vermag. Die Serie erzählt jedoch auch eine Geschichte über die unzähligen politischen Fallstrecke einer Zukunft fern von den utopischen Zuständen der Föderation in Star Trek. Nationalismus, Revanchismus, Isolationismus - Babylon 5 bringt viel auf den Tisch, was in Mass Effect gerade einmal angeschnitten wurde. Cerberus stürzt nie die Erd-Regierung und die Terra Firma-Partei wird auch nie zum plotrelevanten Problem - anders in Babylon 5, wo die Erde und das Psi-Corp (vergleichbar mit Biotikern, aber halt mehr mit Geistestricks ausgestattet, da Telekinetiker sehr selten sind) eine erhebliche Dominanz ausüben. Dabei fühlt man sich etwas an das World Building aus The Expanse erinnert, wo die Erde ja auch alle anderen menschlichen Kolonien, inklusive des industriell weit entwickelten Mars zunächst als Kolonien betrachtet hat, bis der Mars nach einem Unabhängigkeitskrieg als ebenbürtige Macht auftritt und die äußeren Welten ebenso als seine Kolonien in Beschlag nehmen möchte. Auch in Babylon 5 kriselt es zwischen der Erde und dem Mars, aber auch den anderen menschlichen Kolonien. Die Kontrolle der zentralen Regierung ist jedoch dank des Militärs und hilfreicher Gruppen wie des Psi-Corps so groß, dass man meint die Allianz auch mit Gewalt zusammenhalten zu können.
Es gibt in Babylon 5 sogar einen Konflikt der sich mit dem First Contact War aus Mass Effect vergleichen ließe, nur dass die Menschheit da schon einige Jahre Kontakt mit Aliens hatte und sich durch diese auch Waffen besorgte. Im Krieg gegen die Minbari war die Menschheit genauso hoffnungslos unterlegen, wie gegen die Turianer, aber der Krieg endete durch einen Rückzug der Minbari, die bis dahin scheinbar nur ein einziges Schiff in einer direkten Konfrontation verloren hatten. Man hätte die Erde und die Menschheit aulöschen können, aber man ließ es - aus religiösen Gründen. Hinsichtlich der Spezies weißen Mass Effect und Babylon 5 doch einige Unterschiede auf, den so einfach lassen sich die Mitglieder des Babylon 5-Zirkels nicht mit dem Citadel-Rat oder den meisten Mass Effect-Spezies vergleichen. Wir kommen zum besten Teil einer Einführung in die Welt von Babylon 5, nämlich jenen Spezies und Staaten die eine zentrale Rolle spielen. Die Menschheit ist wie schon gesagt, in einer vergleichbaren Rolle wie in The Expanse und Mass Effect, sie ist die aufstrebende Macht am Tisch, aber eben auch etwas unerfahren.
Die Minbari sind mit Ausnahme der mysteriösen Vorlon (die ähnlich wie Quarianer Atmosphärenanzüge tragen und nie ihr wahres Gesicht erkennen lassen) die älteste Spezies und ihr Staat ist quasi-theokratisch und von einem Kastensystem geprägt. Bevor man hier den Vergleich zu Indien zählt, die Kasten der Minbari sind keine Hierarchie, sondern existieren nebeneinander. Angeführt wird die Minbari Federation von einem 9köpfigen Rat, der sich den Titel Grey Council gegeben hat. Diese Organisation des Staats geht auf einen legendären Gründervater namens Valen zurück, von dem man in der Serie auch noch einiges hören und sogar zu sehen bekommen wird. Die politische Macht im Grey Council ist gleichmäßig auf alle 3 Kasten aufgeteilt, somit gibt es jeweils 3 Rats-Mitglieder (Satais) pro Kaste - 3 für die Arbeiter, 3 für die religiöse Kaste und 3 für die Krieger-Kaste. Alle Kasten scheinen auch unabhängig voneinander Schiffe und Truppen unterhalten zu können, was wie eine Einladung zu einem Bürgerkrieg aussieht, aber die Minbari folgen ehrwürdigen Gesetzen, die es verbieten einander zu töten. Warum man den Krieg gegen die Menschheit so schnell einstellte ist zunächst eines der großen Rätsel der Serie, was aber auch zu Unmut unter einigen Minbari und vor allem der um den Sieg gebrachten Krieger-Kaste führt.
Da wir schon die großen Rätsel der Serie angeschnitten haben, die Vorlon mit ihrem Botschafter Kosh und dessen kryptischen Aussagen sind die am höchsten entwickelte Spezies der Galaxis, man erfährt jedoch zunächst sehr wenig von ihnen, da sie sich nur ungern in die Konflikte der jüngeren Zivilisationen hinein ziehen lassen. Kosh beteiligt sich dementsprechend auch kaum am politischen Tagesgeschäft des Babylon 5-Rats. Stilistisch könnten die Vorlon sowohl Geth als auch Quarianer inspiriert haben, ihre Aussagen erinnern mich persönlich aber auch an die Hanar.
Weit hinter den Vorlon Empire und auch hinter der Minbari Federation ist die Centauri Republic die wohl wichtigste der jüngeren Zivilisationen, denn die an napoleonische Zeiten erinnernden Centauri sind der Inbegriff eines in die Jahre gekommenen alterwürdigen Imperiums. Dekadenz, Aussichtslosigkeit, gelegentliche Intrigen und die Erinnerung an verblassende Glanzzeiten - die Centauri sind sehr viel mit sich selbst und den besseren Zeiten der Vergangenheit beschäftigt, so als würden sie sich einfach vom galaktsichen Geschehen mitschleifen lassen. Aber nichts ist so wie es scheint. Und das sagt uns in der Serie gerade G'Kar vom Narn Regime, jener Zivilisation die einst wie die Bajoraner in DS9 von einer technologisch überlegenen Macht erobert, besetzt und ausgeplündert wurden, bis eine hartnäckige Widerstandsbewegung über Jahrzehnte die Besatzung zu einem Verlustgeschäft machte. Die Centauri zogen sich von Narn zurück, nahmen die Folgen ihrer Taten jedoch nicht allzu ernst. Das böse Blut blieb. Seither haben sich die Narn zu einer aufstrebenden Macht entwickelt, die auch eine gewisses Rivalitätsverhältnis zur Menschheit kultiviert. Man will Stärke beweisen und sich wohl auch irgendwann an den Centauri rächen, die in ihrer Lethargie ein einfaches Ziel abzugeben scheinen.
Neben anti-demokratischen und anti-freiheitlichen Strömungen auf der Erde erzählt Babylon 5 auch noch die Geschichte von Besatzung, Revanchismus und Imperialismus. Ich bin fast versucht Narn irgendwie mit Polen zu vergleichen, immerhin ist J. Michael Straczynski der Nachfahre polnischer Großeltern, die im Zuge der russischen Revolution aus dem Gebiet des heutigen Weißrussland geflohen sind. Eine Zeit in der Polen nach mehr als einem Jahrhundert und mehreren Aufständen wieder als Staat entstand und unter Marshall Pilsudski sogar in eine frühsowjetische Offensive verwickelt wurde. Vielleicht bin ich aber auch nur etwas zu sehr von Wolfgang Templins Pilsudski Biografie (Revolutionär und Staatsgründer: Jósef Piłsudski - Eine Biografie) beeinflusst, in welcher der Autor ein in polnischen Migranten- und Exil-Kreisen hohes Geschichtsbewusstsein ortet, gerade auch unter polnischen USA-Auswanderern.
Neben den politischen Entwicklungen und historischen Enthüllungen bietet Babylon 5 jedoch auch in jeder Folge sehr effektive Charakterentwicklung und sich über weite Strecken anbahnende persönliche Story-Arcs. Das große Drama bleibt selten ohne Folgen und Gewissensbisse, die dann auch zu bitteren persönlichen Entscheidungen führen können. Manch einer wächst über sich hinaus, andere scheinen unter dem Gewicht ihrer Entscheidungen in die Knie zu gehen. So umfangreich das jedoch klingen mag, die Entwicklungsmöglichkeiten sind auf den zentralen Cast der Serie beschränkt, auch wenn es Charaktere mit sehr kurzen Arcs über mehrere Episoden gibt. Vielleicht ist das auch dem Bemühen um Kontinuität geschuldet, denn JMS war als Serienschöpfer sehr hands on und hat wohl 90% aller Episoden geschrieben. Man kann ihn daher wohl auch als George Lucas des Babylon 5-Universums bezeichnen, auch wenn Lucas weit nicht alle Star Wars-Filme und erst gar nicht The Clone Wars-Folgen geschrieben hat. So aus einem Guss findet man kaum Serienproduktionen und schon gar nicht solche mit fünf Staffeln. Das ganze hat seine Vorteile, denn JMS konnte die Geschichte kontinuierlich und detailverliebt weiterentwickeln, aber die Perspektive ist halt auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt. Babylon 5 bietet keine Füller-Episoden, sondern nur Episoden mit Charakteren, die man im Moment vielleicht für weniger relevant hält.
Heute sieht Babylon 5 stilistisch nicht mehr nach der Höhe der Zeit auf und es mag sein, dass JMS Stil (und seine damit verbundene Überinvolvierung) für moderne Zuschauer störend wirken können, aber die Serie ist und bleibt für mich eine Perle der Science Fiction. Gerade weil ich soviel von Mass Effect in Babylon 5 sehe und dann sind da Charaktere wie Molari oder G'Kar mit denen ich je nach Arc einfach auch mitgefiebert habe. Die Serie hat aber mehr zu bieten als nur einen großen Arc, an dessen Ende die Erde und die Galaxis gerettet sind, denn Babylon 5 geht über diesen klassischen Endpunkt hinaus. Geschuldet ist das den zeitweiligen Problemen bei der Serienverlängerung, sodass JMS versuchte die Serie vor einer möglichen Absetzung noch zu einem befriedigenden Ende zu bringen, aber der Plan für eine Art Post-Game war immer schon da. Und genau davon könnte auch ein Franchise wie Mass Effect lernen. Nach einem Sieg über die Reaper könnte man sich an Babylon 5 und dessen reichen Schatz an Plotideen zurück erinnern. Es gäbe viel zu tun und einen neuen Rat zu gründen, aber auch zu bedenken, wer im Krieg ausgeschert ist und wie sich mit den Folgen umgehen lässt.