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The Expanse: ein moderner Klassiker

James S. A. Coreys The Expanse hat zwar als Buchreihe nicht ganz so viele Preise abgeräumt, wie es ein "moderner Klassiker" verdient hätte, aber spätestens seit der Serienadaption kann man hier vom Game of Thrones der Science Fiction sprechen...

Und im Gegensatz zu Game of Thrones und House of the Dragon verzeiht man der Serienadaption sogar die Änderung und Zusammenlegung von Charakteren. Dabei sind sich die Serien bzw. Romanreihen darin ähnlich, dass sie über kongeniales Worldbuilding und wechselnde Point of View-Charaktere verfügen. Während George R. R. Martins Song of Fire and Ice jedoch vor dem Release der letzten beiden Bände feststeckt haben Ty Franck und Daniel Abraham (James S. A. Corey ist ein Autoren-Duo) ihr Werk jedoch zum Abschluss gebracht und sich bereits einer neuen Romantrilogie (The Captive's War) gewidmet, die nur noch sehr lose mit The Expanse verbunden sein könnte. Beide Serien habe ich ursprünglich auch begonnen, bevor ich die Bücher dazu gelesen habe. Mittlerweile würden mir nur noch die Kurzgeschichten fehlen.

 

Bis mich The Expanse in seinen Bann ziehen konnte hat es jedoch, wie so oft, etwas gedauert, vielleicht bin ich bei den großen Phänomenen einfach ein Spätzünder. ASOFAI (A Song of Ice and Fire wie Game of Thrones als Buchreihe noch hieß) wurde mir irgendwann in einem Podcast über Dragon Age Origins empfohlen, aber ich vergaß den Namen und stieß erst nach dem Start der ersten Season wieder auf die Connection. The Expanse kannte ich zunächst gar nicht und als die Serie auf Amazon Prime inkludiert wurde gab ich nach einigen Minuten der ersten Folge zunächst auf, mir schien das ganze ein trägeres ALIEN ohne das titelgebende Alien zu sein. Die Serie lief jedoch weiter und dann droppte irgendwo irgendjemand einen Vergleich mit Mass Effect, da spitzte ich natürlich die Ohren. Als ich die erste Season dann nachholte wurde ich erst graduell mit der Crew der Rocinante warm. Zunächst schien ja jeder einfach zu sterben, bis nur noch eine handvoll Charaktere übrig blieb. Zum Bleiben bewegt hat mich schlussendlich Detective Miller, dessen Ermittlungen auf Ceres mich am ehesten an Mass Effect erinnerten.

 

Das World Building in The Expanse ist beeindruckend und gerade in der Serie braucht man etwas länger um alles zu verstehen, was in Buchform nach einigen Zeilen schon Sinn ergibt, wie der Belter-Körperbau und die transhumanistische Komponente der Geschichte. Zu den Büchern griff ich dann nach Season 3 und ich war überrascht wie stark sie teilweise doch von der Serie abwichen, aber ohne Ressentiments, wie bei Game of Thrones. Im Endeffekt tue ich mir trotzdem schwer meine Lieblingscharaktere aus dem erweiterten Buch-Cast zu nennen, da diese nicht immer sehr lange überlebt haben und ich ihre Namen manchmal vergesse. Da hat die Serie mit ihren kreativen Freiheiten jedoch auch großes geleistet, denn eine Camina Drummer oder auch Klaes Ashford sind sehr ikonische Charaktere für mich geworden. Der verachtenswerte Ex-Pirat Ashford, der am Ende sogar zu einem Helden avanciert - ich hätte nicht damit gerechnet und war hellauf begeistert, dass er in der Serie durchaus etwas sinnvolles mit seinem Leben anfangen konnte. Am ungünstigsten finde ich noch den Serien-Tod von Alex Kamal, der in den Büchern ja noch länger am Leben geblieben wäre. Hätte Cas Anvar nicht wegen eines Skandals gekündigt werden müssen wäre es wohl nicht so gekommen, aber in meinen Augen wäre es vielleicht doch den Versuch wert gewesen ihn nachzubesetzen, auch wenn es da Einwände gab, dass eine Neubesetzung für die letzte Staffel zu schwierig ist, weil die Chemie des Teams dann nicht stimmen könnte (vielleicht auch hinter den Kulissen). Serien-Naomi widersprach am Ende auch meinem Bild von Buch-Naomi, genauso wie Serien-Alex - beide Fälle fand ich aber akzeptabel, da mir die Serienversionen schon ans Herz gewachsen waren, ehe ich von der größeren dürren Naomi und dem unter Haarausfall leidenden älteren Alex erfuhr.

 

Was The Expanse für mich so besonders macht ist die Dimension der Erzählung. Was als kleiner Zwischenfall mit diplomatischen Verwicklungen und einer schattenhaften Organisation beginnt wird zu einem vermeintlichen Betriebsunfall mit Alien-Technologie, den Begehrlichkeiten von Unabhängigkeitskämpfern und den Ambitionen eines der reichsten Männer des Sonnensystems - nur um dann das Tor zu unendlichen Weiten und neuen interplanetaren Konflikten zu öffnen. Am Ende stehen 6 Serien-Staffeln 9 Büchern gegenüber, wobei die letzten 3 Bücher nach einem Zeitsprung spielen und in der Serie nicht mehr berücksichtigt wurden. Außer es gibt irgendwann eine Sequel-Serie, in welcher auch die letzten 3 Bücher noch nacherzählt werden, wobei man da schon einiges an Budget für Special Effects mitbringen müsste, da die Science Fiction-Komponenten gegen Ende hin noch einmal deutlich zunehmen. Trotzdem bemerkenswert, dass die Serie wirklich den über die ersten 6 Bücher verlaufenden Gesamt-Story-Arc erzählen konnte und durfte. Möglich war das auch nur, weil das Serien-Projekt zwischenzeitlich gerettet wurde und von da an in den Händen Amazons lag (sogar Elon Musk hat sich damals für The Expanse eingesetzt, aber da war er noch nicht so "politisch aktiv" wie heutzutage).

 

The Expanse ist praktisch ein SciFi-Epos, aber eines ohne Superkräfte, außer vielleicht Plot-Rüstungen. James Holden überlebt sogar radioaktive Strahlung und Kontakt mit dem Protomolekül, aber als Held leistet er kaum übermenschliches, außer vielleicht in moralischer Hinsicht. Holden nennt sein Schiff Rocinante und damit wie das Pferd Don Quijotes, nun kämpft er aber keine Windmühlen die er für Drachen hält, sondern er und seine Crew manövrieren durch einige der schlimmsten Krisen unseres Sonnensystems. Holden versucht das richtige zu tun und damit wirkt er für manche der anderen Akteure wie ein irregeleiteter Don Quijote, da er sich für keine Seite entscheiden will. Das macht Holden in meinen Augen zu einem Helden, aber auch zu einem Charakter mit dem man sich oftmals schwierig identifizieren kann. Holden ist kein Messias und keine überragende Identifikationsgestalt, er ist nicht einmal jemand der sich um seine Rolle oder Autorität bemüht hätte. Anfangs versucht er sich sogar aus seiner Rolle als angehender erster Offizier der Canterbury zu befreien. So jemanden findet man in Game of Thrones kaum, denn Holden hat keine wirklichen Ambitionen oder Ziele, außer im konkreten Fall das möglichst richtige zu tun. Ein Mann der aus dem Rampenlicht flieht ist halt auch etwas, das gerade in unserer Zeit der virulenten Selbstdarstellung etwas aus dem Rahmen fällt. Vielleicht ist James Holden jene Art von Held die Frank Herbert gefallen hätte. Herbert schuf zwar messianische Gestalten wie Paul Atreides oder den God Emperor Leto II., aber um diese als Warnungen zu setzen, wohin Heldenverehrung führen kann. Herberts Paul Atreides ließ schließlich geblendet sogar alles zurück, um in der Wüste zu sterben, nur um dann als blinder Weiser mit warnenden Worten zurückzukehren.

 

Selbst UN-Funktionärin Chrisjen Avasarala ist als Heldin und Protagonistin jemand, der nicht unbedingt die Ambition verfolgt Herrin des Sonnensystems zu werden. Madam Avasarala ist die oft fluchende und fauchende Lichtgestalt, die im Endeffekt auch nur versucht das allgemeine Chaos im Zaum zu halten. Dabei ist ihre Position zunächst nicht ganz durchschaubar. Im Kleinkrieg mit der OPA hat sie schon ihren zum Nachfolger bestimmten Sohn verloren und genau genommen, scheint sie ihre politische Stellung auch ererbt zu haben. Sie ist praktisch das System, Teil der UN-Elite und doch haben sich bei ihr irgendwann Zweifel an der Gerechtigkeit ihrer Sache eingeschlichen. Avasarala macht sich keine Illusionen, die Erde könnte moralisch im Recht sein oder saubere Kriege führen zu können. Als eiserne Lady der Erde muss sie jedoch allerlei Idealisten und Kriegstreiber unter Kontrolle halten, damit sich die Menschheit nicht versehentlich in einem Konflikt selbst auslöscht. Und genau das wird im Verlauf der Serie ziemlich schwierig. Auf gewisse Weise ist sie eine ähnlich widerwillige Heldin wie James Holden, aber eine die aufgrund von Herkunft und Erfahrung dazu neigt, die Verantwortung anzunehmen. In der Serie kommen Avasaralas politische Einsichten etwas weniger zur Geltung, in den Büchern beschreibt sie die UN jedoch sehr deutlich als eine Ansammlung gegenläufiger Interessen, die sich oft nur mühevoll in Einklang oder miteinander versöhnen lassen. Dabei vermisst man etwas klassische demokratische Aspekte wie Parteien und ihre Abgeordneten, die UN in The Expanse wirkt eher wie eine massive bürokratische Organisation. Genau genommen ist Avasarala aber eben auch keine Abgeordnete und im Plenum der UN-Vollversammlung auftretetende Agitatorin, sondern eine Hinterzimmer-Politikerin, die in einer Regierungsfunktion tätig ist. Avasarala wirkt wie die Art von Staatssekretärin, die zuvor nie ein echtes Wahlamt inne hatte und nur durch Parteizugehörigkeit und persönliche Verbindungen zu ihrer Stellung gelangt ist - in ihrem Fall ist das aber kein Manko, denn nur so scheint sie frei von den Zwängen zu sein, die sie zur Tyrannin oder Demagogin machen würden. Wahrscheinlich würde sie auch Frank Herbert gefallen, der seinerseits John F. Kennedy einst als größere Gefahr für die Demokratie nannte als Richard M. Nixon. Weil Kennedy eine Projektionsfläche für unreflektierte Heldenverehrung und Mythologisierung bietet, ganz wie Herberts Atreides-Dynastie. Besser man zweifelt an seinen Staatsoberhäuptern, als ihnen uneingeschränkte Verehrung entgegen zu bringen, denn dann ist es noch möglich sie zur Rechenschaft zu ziehen und wie Nixon zum Rücktritt zu zwingen.

 

Brauchen Helden Gegenspieler, wenn sie gar keine Helden sind? James Holden, Chrisjen Avasarala und Detective Miller kämpfen zunächst nie gegen konkrete Personen, sondern Systeme und Umstände. Die Erde will Krieg, die OPA will Macht und der Mars will zur Erde werden. Manchmal tragen diese Systeme und Umstände ein Gesicht, aber The Expanse setzt über weite Strecken nicht auf die Idee, dass die Geschichte durch große Personen geschrieben wird, sondern durch Strömungen. Die Protagonisten sind daher auch über weite Strecken nur kleine Rädchen, die halt hin und wieder zur falschen Zeit am falschen Ort sind.

 

Anderson Dawes hat das Gesicht eines solchen "Schurken" und er wird passenderweise von Jared Harris gespielt, der schon in die Rollen von Professor Moriarty (den Sherlock Holmes Filmen mit Robert Downey Jr.) und Dr. David Robert Jones (Fringe) geschlüpft ist. Doch als Anführer der OPA-Zelle auf Ceres bleibt Dawes trotz seiner Ambitonen auf eine lokale Rolle beschränkt. Es sind oft nicht die ersten Anführer einer Revolution, die zu ihren bekanntesten Vertretern werden. Dawes Ziel Gouverneur von Ceres zu werden, nachdem er als halbkrimineller Pseudo-Gewerkschafter die Docks der Station kontrolliert hat ist bescheidener als das eines später aus dem Nichts aufsteigenden Marco Inaros. Dawes und seine Generation von OPA-Granden wollten nur ihre relative Freiheit und Unabhängigkeit erreichen, Inaros will als feuriger Revolutionär schließlich viel mehr. Aber es waren ja auch nicht die Mitglieder des französischen Direktorats die sich zu Kaisern krönen ließen, sondern der General Napoleon. Marco Inaros ist der eine wirkliche große Bösewicht, der sich nicht auf eine historische Fußnote reduzieren lässt. Inaros übernimmt die Rolle eines skrupellosen und doch charismatischen Tyrannen, der schlussendlich alle Fraktionen ausmanövriert. Ohne Inaros Charisma wäre dessen Erfolg nicht vorstellbar, auch wenn man jemand anders in diese Rolle gehievt hätte. Selbst der in den 3 nicht verfilmten Romanen auftretende Admiral Duarte ist keine derart zentrale Figur wie Inaros, da Duartes Rolle auch jemand anders hätte zufallen können und er sich zeitweise sogar vertreten lassen muss. Inaros ist auch die persönlichste Bedrohung für James Holden.

 

Ein Jules-Pierre Mao erfüllt zwar auch einige der Kriterien eines Bond-Bösewichts, aber Skrupellosigkeit, ein Vermögen, geheime Labors, Elite-Söldner und welterschütternde Pläne helfen ihm auch nicht, um in die Liga eines Marco Inaros aufzusteigen. JP Maos Interesse am Protomolekül treibt zwar die Story voran, aber hauptsächlich durch Kollateralschäden. Maos Pläne sind längst nicht ganz ausgereift und das ganze wirkt durchaus realistisch, da er eben zwischen Vertuschungsaktionen, unethischen Experimenten und Betriebsunfällen herumlaviert.

 

Von Interesse für mögliche Nachahmer halte ich bei The Expanse nicht nur das Setting der ersten 6 Romane und Serie, in welcher sich die Menschheit im Sonnensystem ausbreitet und politisch entwickelt, sondern auch das was in den letzten 3 Romanen und auch schon zuvor, sowie der Serie passiert. Die Menschheit findet einen Weg sich über das Sonnensystem hinaus auszubreiten und da kommen einige Ideen zum Zug, die man sonst nur aus stark weiterentwickelten Formen kennt, wie imperialistische menschliche Imperien, die mit überlegener Technologie ihre Artgenossen unter Kontrolle bringen wollen oder wie mühsam die Gründung von Kolonien außerhalb des irdischen Ökosystems ist, vor allem wenn man von einer wenig perfekten realistischen Ausgangslage ausgeht.

 

The Expanse ist sozusagen expansiv, soweit es den Ideenschatz betrifft, welchen die Serie verwendet. Sie verbindet, verknüpft und kreiert dabei Ideen, die wahrscheinlich diese und die nächste SciFi-Generation noch beeinflussen werden, vielleicht sogar darüber hinaus.