Woher kenne ich diese Geschichte?

Um es gleich vorweg zu sagen, meine Empfehlung des von Bronson Pinchot gesprochenen Hörbuchs zu Double Star hat leider nichts mit einem Sponsoring durch Audible zu tun. Das Hörbuch ist für Audible-Abonennten derzeit und zumindest schon seit Sommerbeginn im Abo inkludiert und somit gratis verfügbar. Als Audiblenutzer bin ich so eher zufällig darüber gestolpert, weil ich bei der Suche nach SciFi-Klassikern in einigen Fällen feststellen musste, dass diese zwar nicht als e-Books, aber als Hörbücher verfügbar waren. Und unter den Hörbüchern gibt es wiederum solche die man gratis nutzen kann. Dass ich überhaupt auf digitale Inhalte zurückgreife liegt an einem analogen Platzproblem und der erschreckenden Menge an Büchern, die schlichtweg keine modernen Nachdrucke besitzen. Lost Media wird zum wirklich großen Problem, wenn man sich mit mehr oder weniger bekannten Klassikern beschäftigen will und selbst Buchpreisträger sind davon nicht ausgenommen.
Hörbücher sind ein für mich seit Jahren unverzichtbares Medium, aber nicht jeder Sprecher trifft zwangsläufig meinen Geschmaack. Es mag an Talent, Entscheidungen der Sprecher oder auch der Regie und dem Einfluss der Produzenten liegen, was am Ende bei einer Hörbuchadaprion heraus kommt. Unter den "Gratis-Hörbüchern" Audibles gibt es einige die mir auch ihre Buchvorlagen etwas madig gemacht haben, aber das kann an einer negativeren Grundeinstellung gegenüber geschenktem Content liegen, also Misdtrauen gegenüber der Qualität und entsprechend gefärbter Wahrnehmung. Kauft man etwas besteht zumindest die Wahrscheinlichkeit, dass man dem Produkt einen höheren Wert beimisst und in einem Prozess die Kaufentscheidung vor sich selbst und der Welt zu rechtfertigen kann man auch zu einer positiveren Wahrnehmung gelangen. All das ließe sich vermutlich prägnanter formulieren, würden mir die Fachbegriffe einfallen oder wo ich die Theorie dazu nachschlagen könnte. (Wahrscheinlich bei Cialdini, Robert B. "Die Psychologie des Überzeugens"?)
Dieses Hörbuch ist jedenfalls eine Ausnahme, denn ich musste es mir nicht erst schönlügen: Link
Heinleins Geschichte eines Doubles, das unerwartet lange in die Rolle eines Staatsmanns schlüpfen muss wirkt sehr vertraut und wurde im Film DAVE auch auf einen US-Präsidenten angewandt. Die Formel ist altbewährt und könnte in Heinleins Fall entweder von Mark Twains The Prince and the Pauper oder The Magnificent Fraud (ein Film von 1939) zurückgehen, wobei auch generell eine Anlehnung an die Geschichte vom Mann mit der eisernen Maske und dessen geheimer Identität als einstiger Zwillingsbruder des französischen Königs vorliegen könnte. Heinlein hat einer zeitlosen Geschichte wohl einfach einen SciFi-Anstrich gegeben, bei dem das Haus von Oranien-Nassau scheinbar das Sonnensystem regiert. Die Niederlande als unerwarteter Gewinner des Space Race.
Was die Umsetzung des zeitlosen Stoffs betrifft so hat Heinlein den wenig erfolgreichen Schauspieler und Taschenspieler Lorenzo Smythe (auch bekannt als der große Lorenzo oder unter bürgerlichem Namen Lawrence Smith) zum Protagonisten und Ich-Erzähler der Geschichte gemacht. Lorenzos Geschichte ist eine Aneinanderreihung autobiografischer Aufzeichnungen, die er auf Anraten seines Psychologens angelegt hat, da er über Jahrzehnte mit der von ihm angenommenen Rolle komplett verschmolzen ist. Als der aufstrebende Polit-Star John Joseph Bonforte entführt wird greift dessen Team kurzerhand zur Rekrutierung eines Doubles, um Bonfortes aussichtsreiche Wahlchancen nicht zu gefährden. Da sich Bonforte und Lorenzo ziemlich ähnlich sehen muss sich dieser zunächst nur in die Rolle Bonfortes einarbeiten, wobei er dessen Sprech- und Verhaltensweise übernimmt. Dieses method acting wird jedoch bald nicht mehr genug sein, denn Bonfortes Gesundheitszustand stellt sich als sehr kritisch heraus und Lorenzo muss mehr Auftritte übernehmen, als zunächst geplant. Wobei er zunehmend auch Bonfortes politische Überzeugungen nachahmen muss, denen der große Lorenzo zuvor aber nichts abgewinnen konnte.
Die Adaption des Romans steht und scheitert an Bronson Pinchot, der als Sprecher einen sehr effekthascherischen "großen Schauspieler" Lorenzo Smythe mimt. Das große Theater Pinchots mag nicht jedem gefallen, denn es entspricht so gar nicht der Vorstellung eines träge vor sich plätschernden Erzählflusses. Mich hat das jedoch begeistert, Pinchot füllt die Rolle und seine Erzählung mit einer humorvollen Lebhaftigkeit. Und das ganze macht für mich auch auf einer Meta-Ebene Sinn, denn der zu Bonforte gewordene große Lorenzo will sich durch das Heraufbeschwören seines Alter Egos wohl noch seiner Wurzeln und einstigen Ambitionen besinnen. Für die Welt mag Lorenzo Smythe vergessen und vergangen sein, doch für "John Joseph Bonforte" ist der große Lorenzo ein wahrer Star geworden.
Robert A. Heinlein gilt neben Isaac Asimov (Foundation, I Robot) und Arthur C. Clarke (2001) als einer der großen Drei der Science Fiction-Autoren des 20. Jahrhunderts, er ist aber wohl auch der kontroverseste Teil des Trios. Heinlein ist immerhin der Mann der Starship Troopers geschrieben hat und wenn schon Paul Verhoevens Filmadaption vorgeworfen wird Faschismus und Militarismus zu verherrlichen, dann wird man in der Buchvorlage auch einiges an entsprechendem Gedankengut finden. Trotzdem hat Starship Troopers seine Nische geprägt, von Orson Scott Cards Enders Game bis zu Spielen wie Mass Effect oder Helldivers 2. Heinlein selbst sah sich als politisch liberal und das manchmal auch mit radikaler Schlagseite, wobei er seine Werke manchmal als Parodie oder Persiflage auf bestimmte Weltanschauungen verstanden wissen wollte, auf jede Falls als solche, mit denen man Standpunkte hinterfragen oder verstehen lernen kann. Seine Werke sind daher auch eine Fundgrube für jene die sich gerne fragen, wie ernst meint der Auror das? Ist Starship Troopers nun eine versteckte Parodie auf Faschismus und Militarismus oder eine ernstzunehmende Wunschvorstellung? Heinleins Gratwanderungen leiden unter dem Schicksal, dass Autor und Publikum nicht immer einer Meinung sind, was das Dargebotene nun zu bedeuten hat. Man kann sich auch als Autor irren oder eben wie ein Schauspieler zu sehr in einer angenommenen Rolle verstiegen haben, bei der man politische Überzeungen so eindrucksvoll zum Ausdruck bringt, als würde man diese tatsächlich selbst vertreten. Heinleins großer Lorenzo ist daher vielleicht auch ein vom Autor nicht beabsichtigter Ausdruck dessen, wie er sich gefühlt haben könnte. Oder auch nicht und der Charakter lässt sich von mir als Publikum einfach so interpretieren.